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VW Golf I – der Kompaktwagen, der Deutschland (und VW) rettete

Als der VW Golf im Frühjahr 1974 in die Schauräume rollte, stand der Konzern am Scheideweg. Der Käfer, Ikone einer ganzen Ära, war technisch überholt; die Ölkrise machte durstige Heckmotor-Klassiker unattraktiv.

Der Golf I, intern Typ 17, wurde zum Befreiungsschlag – modern, praktisch, bezahlbar. Und er prägte eine Fahrzeugklasse, die wir bis heute „Kompaktklasse“ nennen.

Von Lothar Spurzem – Eigenes Werk, CC BY-SA 2.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15109856

Vom Krisenprojekt zum Klassenprimus

Die Entscheidung für Frontantrieb, Quermotor und Wasserkühlung war eine 180-Grad-Wende. Designer Giorgetto Giugiaro gab dem Golf die klaren, zeitlosen Linien; Herbert Schäfer überführte das Design in die Serie.

Unter dem nüchternen Blech steckte viel Audi/NSU-Kompetenz – die damals noch junge Fusion zahlte sich aus.

Serienstart: 29. März 1974 in Wolfsburg. Schon die Basismodelle galten als „sportlich“, gleichzeitig als sparsam – ein entscheidender Punkt in der Nach-Ölkrise-Zeit.

Der Golf war kürzer als der Käfer bei identischem Radstand, bot aber dank Layout deutlich mehr Innenraum und einen alltagstauglichen, variablen Kofferraum.

Von Bundesarchiv, B 145 Bild-F054863-0012 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5457861

Technik, die Alltag kann

Zur Markteinführung standen zwei Motoren bereit:

  • 1,1 Liter / 50 PS (aus dem Audi 50, mit cleverer Peripherie ohne Zwischenwelle),
  • 1,5 Liter / 70 PS (EA827-Familie, Audi 80).

Das Fahrwerk kombinierte eine vorn gutmütige Abstimmung mit der Verbundlenkerachse hinten – solide, berechenbar, komfortabel. Ein frühes Schmankerl: Schon der Golf hatte eine Computerschnittstelle für Diagnosen – 1974!

Modellpflege und die Sache mit dem Rost

Von Matti Blume – Eigenes Werk, CC BY-SA, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=146016974

Mitte der 70er litten die ersten Golf-Jahrgänge an Korrosion (Recycling-Stahl und fehlende Hohlraumkonservierung). VW reagierte:

  • 1978: Kunststoffstoßfänger, Geräuschpaket, besserer Korrosionsschutz.
  • 1980: Breite Rückleuchten, neues Armaturenbrett, Neuordnung in C/CL/GL.
  • 1982: Vordere Radhausschalen – Rostkiller im Alltag.

Parallel reifte der Antrieb: Der aus dem 1,5er abgeleitete 1,6-Liter wurde zur universellen Basis – und zur Startrampe für das, was den Ruf des Golf für immer verändern sollte.

GTI: Drei Buchstaben, die alles änderten

Von https://www.flickr.com/photos/tonysphotos/ – https://www.flickr.com/photos/tonysphotos/2706674841/in/photostream/, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25006735

IAA 1975: VW stellt den Golf GTI vor – zunächst als Insiderprojekt einiger Ingenieure um Pressechef Anton Konrad erdacht. Unter der Haube: der 1,6-Liter mit 110 PS (K-Jetronic).

Leergewicht um 810 kg, 0–100 km/h in 9,2 s, 182 km/h Spitze. Kotflügelverbreiterungen, roter Grillrahmen, Frontspoiler, „Golfball“-Schaltknauf – fertig war der Hot Hatch für alle.

1982 folgte der 1,8-Liter mit 112 PS, 1983 das legendäre Sondermodell Pirelli GTI (W65) – farbige P-Felgen inklusive. Der GTI wurde zum Kult und definierte ein Segment, dem bald Escort RS und Kadett GT/E Paroli boten.

Diesel, der überrascht

September 1976 kam der Golf Diesel – für Deutschland ungewöhnlich im Kompakten. Basis war der robuste EA827-Otto-Block, konsequent verstärkt, mit Wirbelkammerkopf und Verteilerpumpe.

Erst 1,5 l / 50 PS, später 1,6 l / 54 PS; 1982 der GTD mit 70 PS, Garrett-Lader und Verbrauchswerten, die viele Mittelklasse-Benziner alt aussehen ließen.

Cabrio, Jetta, Caddy – die Golf-Familie wächst

  • Cabriolet (Typ 155): Ab 1979 bei Karmann gebaut, bis 1993 – damit das meistverkaufte Cabrio seiner Zeit.
  • Jetta I (1979): Das Stufenheck für die konservative Kundschaft, besonders in Nordamerika erfolgreich.
  • Caddy: Als Rabbit Pickup in den USA, als Caddy (TAS Sarajevo) ab 1983 auch bei uns – robuste Golf-Gene mit Ladefläche.

Export, Rabbit, Citi – ein Weltbürger

USA: Ab 1976 als Rabbit, mit großen Stoßfängern und K-Jetronic wegen Abgasregeln; später eigene Produktion in Westmoreland.
Südafrika: Der Citi Golf lief in Uitenhage bis 2009 – optisch Golf-Mix, technisch zuverlässig, Kultstatus garantiert.

DDR-Deal 1977/78: 10.000 Golf gegen Werkzeugmaschinen & Technik – ein Westauto im Osten, das bald das Berliner Straßenbild prägte.

Zahlen, die zählen

  • 6 Mio. Golf-Limousinen (1974–1983) – 1 Mio. Diesel.
  • 389.000 Cabriolets (1979–1993).
  • 200.000 Caddy/Rabbit Pickup.
    Seit 1976 führt der Golf (mit kurzen Unterbrechungen) die deutsche Zulassungsstatistik an – der Ier legte das Fundament.

Warum der Golf I alles veränderte

Von Lothar Spurzem – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=157391107

Der Golf I war mehr als ein Käfer-Nachfolger. Er machte die praktische Schrägheck-Kombilimousine in Deutschland salonfähig, verband Alltag, Effizienz und Fahrspaß – und schuf mit dem GTI ein neues Genre.

Gleichzeitig zeigte der Diesel, dass Sparen und Reichweite nicht nur etwas für Taxis sind, und das Cabrio, dass Vernunft und Sommerlaune zusammengehen.

Fazit: Der Golf I ist nicht nur der Startpunkt einer bis heute dominierenden Baureihe. Er ist der Nullpunkt der modernen Kompaktklasse – die Blaupause für das Auto, das „alles kann“. Wer heute einen frühen, gut erhaltenen Ier findet (ob als GLD, GTI oder Cabrio), hält ein Stück Industriegeschichte in Händen.

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