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VW Scirocco – der Wüstenwind, der Autoträume weckte

Als im Frühjahr 1974 der erste VW Scirocco in die Schauräume rollte, war er etwas völlig Neues aus Wolfsburg. Bis dahin stand Volkswagen vor allem für solide, brave Fahrzeuge wie den Käfer oder den gerade frisch vorgestellten Golf.

Doch mit dem Scirocco wagte sich der Konzern erstmals in eine sportlich-emotionale Nische. Das Ergebnis war ein Coupé, das nicht nur mit flottem Design überzeugte, sondern auch bezahlbar und alltagstauglich blieb.

Der Name „Scirocco“ kam nicht von ungefähr. Er bezeichnet einen heißen, trockenen Wüstenwind aus Nordafrika, der über das Mittelmeer fegt. Genau dieses Bild wollte Volkswagen transportieren: Temperament, Dynamik und einen Hauch von Exotik – verpackt in ein Auto, das aus der deutschen Autolandschaft herausstach.

Von Arcturus – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=950235

Die Geburt einer Legende – Scirocco I (Typ 53, 1974–1981)

Die Idee für den Scirocco kam von niemand Geringerem als Giorgetto Giugiaro, einem der bedeutendsten Automobildesigner seiner Zeit. Während er am Golf arbeitete, erkannte er, dass die Plattform auch die Basis für ein kompaktes Sportcoupé bieten könnte.

Zusammen mit dem Karosseriebauer Karmann in Osnabrück nahm das Projekt Gestalt an. VW selbst hielt sich finanziell zurück – Karmann trug das Risiko und baute das Auto komplett in Eigenregie.

Das Ergebnis war ein dreitüriges Coupé mit scharfen Linien, flacher Front und einer gestreckten Motorhaube, das sofort auffiel. Unter der Haube arbeitete Technik aus dem Golf I, was bedeutete:

Quer eingebauter Vierzylinder, Frontantrieb und eine solide, leicht zu wartende Mechanik. Die Motorenpalette reichte von bescheidenen 50 PS im Basismodell bis zu sportlicheren Varianten mit über 100 PS – genug, um damals auf der Autobahn locker mitzuschwimmen.

Besonders beeindruckend war die Alltagstauglichkeit: Trotz seiner sportlichen Linie bot der Scirocco Platz für vier Personen (2+2-Sitzkonfiguration) und einen überraschend großen Kofferraum. Damit war er nicht nur ein Schönwetter-Spielzeug, sondern konnte problemlos als Alltagsauto dienen – ein Konzept, das viele Käufer überzeugte.


Mehr Komfort und Aerodynamik – Scirocco II (Typ 53B, 1981–1992)

Von Charles01 – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39979185

Anfang der 80er Jahre war es Zeit für eine Modernisierung. Der Scirocco II sollte nicht nur schicker, sondern auch praktischer werden. Die Karosserie wurde runder und strömungsgünstiger, das Platzangebot im Innenraum wuchs. Auch der Kofferraum legte zu, sodass der Wagen noch vielseitiger einsetzbar war.

Die Technik blieb weitgehend vertraut: Plattform und Grundkonstruktion stammten weiterhin vom Golf I. Aber die Motoren wurden stärker, die Ausstattung hochwertiger. Besonders beliebt waren sportliche Versionen wie der Scirocco GTX oder die 16V-Modelle, die dank Vierventiltechnik bis zu 139 PS leisteten – ein beachtlicher Wert für ein kompaktes Frontantriebs-Coupé jener Zeit.

Eigentlich sollte der Scirocco II bereits 1986 durch den Corrado abgelöst werden. Doch der Corrado war teurer, luxuriöser und technisch komplexer, sodass VW beide Modelle bis 1992 parallel laufen ließ. Für viele blieb der Scirocco das zugänglichere, ehrlichere Sportcoupé – unkompliziert, fahraktiv und im Unterhalt überschaubar.


Das lange Warten und das Comeback – Scirocco III (Typ 13, 2008–2017)

Von Thomas doerfer – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11853283

Nach dem Produktionsende 1992 war lange Zeit unklar, ob der Scirocco jemals zurückkehren würde. Die Coupé-Nische schien für Volkswagen nicht mehr so attraktiv, und das Modell verschwand aus dem Straßenbild.

Erst 2006 keimte die Hoffnung wieder auf: VW präsentierte auf einer Messe das Konzeptfahrzeug „Iroc“ – ein modernes, sportliches Kompaktcoupé. Zwei Jahre später wurde aus der Studie Realität: Im August 2008 kam der Scirocco III auf den Markt.

Technisch basierte er auf der PQ35-Plattform, die auch beim Golf V und VI verwendet wurde. Produziert wurde er jedoch nicht mehr in Osnabrück, sondern im portugiesischen Werk Autoeuropa. Optisch setzte er sich klar vom Golf ab: Breite Spur, flache Front, muskulöse Kotflügel – der neue Scirocco wirkte modern, sportlich und selbstbewusst.

Unter der Haube kamen vor allem TSI-Turbobenziner zum Einsatz, die zwischen 122 und 280 PS (im R-Modell) leisteten. Auch Dieselvarianten waren erhältlich, vor allem für Vielfahrer in Europa. Der Innenraum orientierte sich am Golf, bot aber ein tieferes Sitzgefühl und eine sportlichere Atmosphäre.

Trotz guter Kritiken und treuer Fangemeinde lief der Scirocco III im Modelljahr 2017 aus. Gründe waren unter anderem sinkende Verkaufszahlen und strengere Abgasvorschriften.


Warum der Scirocco Kultstatus hat

Der Scirocco hat sich in über vier Jahrzehnten drei Mal neu erfunden – und trotzdem seinen Charakter behalten. Er war nie ein reines Spaßmobil, sondern immer auch ein Auto für den Alltag. Gleichzeitig bot er Fahrspaß, ein eigenständiges Design und ein gewisses Image, das ihn vom Mainstream abhob.

Für viele Fahrer war er der Einstieg in die Welt der sportlichen Autos – erschwinglich in der Anschaffung, sparsam im Unterhalt, aber mit genug Temperament, um die Landstraße zum Vergnügen zu machen. Besonders die frühen Karmann-Modelle genießen heute unter Youngtimer-Fans hohes Ansehen. Gut erhaltene Exemplare sind gesucht und steigen im Wert.

Auch der Name trägt zum Mythos bei: „Scirocco“ klingt nicht nur schön, sondern erzählt eine Geschichte – vom heißen Wind, der aus der Wüste kommt, von Geschwindigkeit und Freiheit.


Ein Wind, der bleibt

Ob in den 70ern mit kantigen Giugiaro-Linien, in den 80ern mit runderer Form oder in den 2000ern mit moderner Turbo-Power: Der Scirocco war immer ein Auto für Menschen, die mehr wollten als nur von A nach B zu kommen. Er war das Coupé, das Herz und Verstand verbinden konnte – ein heißer Wind aus Wolfsburg, der auch nach Produktionsende noch weht.

Für manche ist der Scirocco ein Stück Jugend, für andere ein Sammlerstück – und für viele einfach ein Beweis, dass Volkswagen mehr kann als Vernunft.

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